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Annas drittes Leben

19 avril 2024

Jenseits von Eden ;)

wieder sicher sein

ein mensch zu sein

wie ich es sein wollte

nach meinem bilde 

von gut 

und nicht zweifeln 

nicht an mir 

nicht an dir

und nicht am nächsten morgen

wieder leise worte hören 

von deinem bilde 

von mir 

und lächeln können 

über deinen horizont

und wo er meinen kreuzt 

 

wieder sicher sein

beim blick in den spiegel 

auch dem innen 

wieder in der tuer stehen 

und wenigstens hineinsehen

ind verlorene eden

10 mars 2024

Laufen (geklaut)

Es gibt dieses wirklich schöne Buch über eine Frau, die läuft. Anna sieht sich noch sitzen auf dem Bettsofa eines Mannes und es läuft ihr aus den Augen und sie ist ganz überrascht. Dieses Buch hat etwas gemacht mir ihr und darauf war sie nicht vorbereitet. 

Anna denkt da immer dran, wenn sie durch den Matsch im Wald oder den knirschenden Kies im Park von C läuft. Sie denkt daran, wenn sich ihr Atem nicht beruhigen will, nicht den Takt finden, wenn ihre Gedanken um die schon verlaufene Zeit flirren und nicht abdriften (und zum Beispiel von ihren Geburtstag tagträumen, dass sie aus dem Lehrerzimmer tritt und am anderen Ende des Flurs sieht sie ein Lächeln, das eigentlich nicht wahr sein kann...)

So was eben. Sie denkt daran und hört die andere, die im Buch (es gibt auch einen Film) atmen und atmet ihr nach. Und irgendwann hat sie ihn, den Takt und in ihrem Kopf kann dann Dido singen oder Laufey oder sogar der olle Manne. Egal, ihre Füße setzen sich brav einer vor den anderen, ihr Atem tut nicht mehr weh und sie kann den alten Herrn, der sie gerade zum zweiten Mal begrüßt, sogar anlächeln. Sie denkt nicht mehr, sie läuft. Es läuft und sie hängt nicht mehr hinterher. Ihr fehlt nichts und sie hat die vollkommene Kontrolle über sich und ihr kleines verrücktes Universum. (Das mit der Kontrolle beschäftigt Anna gerade sehr.)

Und dann kommen auch die Tagträume, die vom Geburtstag und die, über die sie mit niemandem redet, weil es das Gegenteil von dem ist, was sie zu all denen, die es wissen müssten, sagt.

Die Tagträume treiben sie noch ein bisschen weiter. Die Knie beginnen zu schmerzen, aber Anna ignoriert sie. Sie ist noch nicht so weit, sie ist noch nicht fertig. Noch nicht angekommen. 

Als sie langsam langsamer wird, rutscht sie beinahe aus im Matsch. Einen Moment lang setzt der Rausch in ihrem Kopf aus und eine Art Zeitlupe ein. Das Lehrerzimmer verschwimmt und der Traum, von dem keiner weiss, friert ein. Aber Anna fällt nicht, sie fängt sich. Sie kann sich fangen.

Es läuft. 

28 février 2024

Als das Wünschen noch geholfen hat

Sprach die Prinzessin: Erinnerst du nicht noch an die Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat? Und Anna sagte, ja, das war schön, aber ich denke, das ist vorbei, oder?

Und traurig lächelte die Prinzessin, die fetten Jahre seien vorbei und sie darüber dünn geworden. Und vielleicht müsse man dankbar sein, dass man sie gehabt hatte, diese fetten Jahre und nun eben leben in diesen mageren und mit der Sonne konstant hinter den Wolken. 

Anna bekam den Mund nicht zu, denn das war alles, was sie nicht wollte. Doch die Prinzessin nahm sie in den Arm und sprach: "Komm du erst mal zu dir, Anna und dann zu mir. Und wir suchen die Sonne hinter den Wolken. Es ist doch gut sie zu sehen, selbst versteckt. Und wir haben sie schon einmal gefunden. Anna, das wenigstens noch wünschen wir uns."

(Und man weiss doch, dass man Prinzessinnen nicht widerspricht, denn sie wissen Wissen aus Zeiten vor den Hoffnungen von heute.)

25 février 2024

Noch nicht vorbei, es fängt gerade erst an

Es ist ein seltsames Jahr, das begonnen hat für Anna. Es begann mit einem Stechen links in ihrer Brust, das blieb. Irgendwo da, wo Anna nicht rankam, hat es sich eingenistet und jeder Pieks sagt, es ist noch nicht vorbei. Es fängt gerade erst an.

Als sie am ersten Tag des neuen Jahres nach Hause fuhr, war es da, es flüsterte Méfie-toi, es ist noch nicht vorbei, es fängt gerade erst an. Und es blieb.

Anna wurde krank um dieses Stechen herum, es stach, wenn sie Kinder um sich hatte, die eigenen und die der anderen. Es stach, wenn sie Erwachsene um sich hatte, ihr wohl gesonnene und die anderen. Ein Mann - oder war es ene Frau?- warf eine Dose nach ihr und nannte sie Schlampe. Anna hielt kurz inne, das war sie nicht, aber sie musste doch ein wenig nachdenken, um sicher zu sein. Sie zog die Braue hoch und sprach mit ihren Freundinnen darüber. Die ihr sagten, Anna, pass auf, so nicht, lass es sein. Anna ließ es nicht sein. Anna ging weiter. Stehen bleiben, das war auch nicht Anna.

Das Problem war, dass Anna irgendwann nicht mehr recht wusste, was oder wer oder wie Anna war. Und dass das geschah, als sie den Kindern, die nicht ihre waren, gerade die W-Fragen erklärte, spielt fast gar keine Rolle. Das Stechen stach und stach immer schneller und Anna blieb endlich stehen. Und legte sich hin und sah anderen eine Woche lang beim Leben zu. Weil ihres nicht ging.

Sie versuchte Signale zu senden, aber das Stechen muss sie abgefangen haben. Sie versuchte, ein Glück zu mobilisieren, aber das Stechen hatte das Glück erdolcht oder zumindest lag dies in einer profunden Ohnmacht. Anna legte sich dazu. Es blieb ihr nur abzuwarten.

Sie wartete eine Woche, dann wurde das Stechen schwächer. Kein Grund zur Freude, Anna wusste, es war noch da, raunte, noch nicht vorbei, es fängt gerade erst an... Das wusste Anna ja nun, dass es nie einfach so vorbei sein würde.

Als das Loch in ihr Fenster und in ihre vermeintliche neue Ruhe flog, war sie kaum überrascht. Als ein Glaser kam und es "absicherte", horchte sie fast ganz ohne Hoffnung in sich - und nein, es war immer noch da. Auch eine Kugel in ihrer Wand konnte das Stechen nicht vertreiben. Wie sollte es auch? 

Anna fuhr ein paar Tage in die kleine Stadt, in der das Kino geboren wurde und trank einen Kaffee unter Graffitis, die da gestern noch nicht gewesen waren. Sie schaute einen Film und sie küsste einen Mann und sie kaufte sich ein Buch. Sie rauchte eine Zigarette und trank zwei Gläser zu viel. Sie tat alles, damit das Stechen schwieg, nur ein paar Tage lang. Als sie im Zug zurück in ihr Leben saß, war es wieder da. Fast schon vertraut inzwischen, nicht vorbei, es fängt gerade erst an.

Als der beste aller Freunde kam, legte es sich kurz schlafen. Ein Wochenende lang vergaß es Anna. Es gab ihr die Zeit für ein paar Kaffee zu viel, tausend Lachen und doch zu wenig, und einen fröhlich nassen Spaziergang am Meer. Oder war es im?

Und dann war es wieder da, hatte Kräfte gesammelt und stach heftiger denn je. Es zog in den Bauch und machte Anna Angst vorm Leben und Angst vorm Sterben. Und als auch das vorbei ging, hatte Anna gelernt, dass es besser zu ertragen war, wenn sie nicht drüber sprach, mit dem Stechen alleine blieb. Egal, was die Menschen sagten, die ihr nahestanden: nichts wurde beser, wenn sie sagte, wo es stach. Es stach dann einfach woanders und mit doppelter Kraft. Und vielleicht stach es sogar die anderen.

Anna hat sich belesen über diese Art von Stechen. In ihren eigenen Texten und denen der anderen. Sie kennt es gut, sie weiss, es war immer da. Es hatte vorher nur keinen Namen und war schwächer, jünger, kannte Anna noch kaum. Manchmal blieb es lange weg, tatso, als hätte das Glück gewonnen. Aber es würde immer wieder kommen. Die Kunst, hatte Anna begriffen, lag darin, nicht gegen es zu leben. Sich selbst zu trauen, immer ein bisschen mehr als den anderen, denen sie immer ein bisschen mehr zuhören sollte als sich selbst. Weiter zu gehen, auch wenn das Stechen stärker würde. Irgendwann wird es müde werden. Länger durchzuhalten als das Stechen in der eigenen Brust.

Denn dieses Leben, denkt sich Anna, es ist noch nicht vorbei, es fängt gerade erst an.

 

 

8 février 2024

Was echt ist

Eines Abends, es muss fast noch Sommer gewesen sein, lag Anna in ihrem Bett, da sagte ein grauäugiger Bär ihr, er würde sein Leben für sie, für Anna ändern wollen. Er sagte, er würde bei ihr überwintern wollen, in ihrem Leben, in ihrer Naehe, ein neues Bärenleben -  und er lachte und war froh und machte Pläne für das Wo und das Wann. Und Anna, die den Bären da schon sehr gerne hatte, zwinkerte ein bisschen mit den Augen und dachte, geht das? Kann man einen Bären einfach so verpflanzen für seinen Winterschlaf oder gar sein Leben ? Aber weil der Bär so glücklich und optimistisch klang, lachte sie schließlich auch und nahm ihn bei der Hand und sagte, ja komm zu mir zum überwintern. Und weil ich das so schön finde, sagte sie auch, kaufe ich dir einen roten Kühlschrank für deinen Honig. Je länger der Bär lachte, um so froher wurde Anna und der Bär klatschte in die Pranken und beide waren ganz dusselig vor Zukunftsglueck und schliefen Hand in Pranke ein, mit einem halben Herz schon in einem neuen Leben. 

Dann kam der Herbst und mit dem Herbst die kälteren Tage und der Bär wurde müde. Anna wurde auch müde, aber die Perspektive auf Winterschlaf mit dem Bären hielt sie munter und sie sparte für einen roten Kühlschrank. Und schließlich  sagte Anna dann einmal zum Bären, soll ich ihn nun bald kaufen, den roten Kühlschrank für deinen Honig und den Winter? Da lachte der Bär, und sein Lachen klang in Annas Ohren, als hätte sie den Sommer nur geträumt: wo denkst du hin, Anna, du kannst doch einen Bären  nicht so verpflanzen mit seinem ganzen Bärenleben. Verstehst du denn nicht? 

Und Anna sagte sich, ja, sie hatte das mal verstanden, aber dann war das nicht mehr wahr gewesen und dann hatte sie es also anders verstanden und nun war das, was sie anders verstanden hatte, nicht mehr wahr. Aber was war denn nun wahr? Und war es das damals und ist es nur heute nicht mehr? Können Bären ihr Leben verändern? Wenn sie das wollen? Und wenn sie es dann auf einmal nicht mehr können, ist es dann, weil sie nicht mehr wollen? 

Welche der beiden Momente in Annas Leben war der « echte » und war es wirklich derselbe Bär in beiden?

Und warum überhaupt hat sich Anna in keinem der beiden Momente gefragt, was eigentlich sie, Anna für ihren Winter will? 

16 janvier 2024

Down in Albion

Die Frage stellt sich nicht

Ob du vergessen willst

Kein politisch korrekt

Nur nie wieder 

Down in Albion


Die Zeit zurück drehen

Und ohne ihn leben können

Die Frage stellt sich nicht

Du drehst die Musik leiser

Wischst die App weg

Du blockiert das Lied 

in jeder Playlist

In jedem Traum 

Wenn du ihn leiser drehen

wegwischen 

Blockieren könntest

Du würdest es wollen

Nichts wäre korrekt

In deiner radikalen Ausradierung

Seines Lächelns aus deinem Gesicht

Die Frage stellt sich nicht 


Was würdest du geben dafür

Dass nie wieder ein Regenspaziergang

Dem Vergessen dazwischen Käme

Sagen zu können,

Ich will niemanden vergessen

Nur Dinge. 

Wie die anderen. 

Und trotzdem ehrlich 

Die Frage stellt sich nicht. 

14 janvier 2024

Wir, die wir nie älter als 30 waren

Wir, die wir nie älter als 30 waren, wir halten uns an den Händen und fragen uns, wie wir hierhin kamen. Hirhin, wo unsere Kinder acht, zwölf, vierzehn sind und uns fragen, wie Liebe geht. Und wir uns wundern, ob wir das selbst so ganz verstanden haben. Unsere Kinder, die sich festhalten an uns, die wir selber noch stolpern auf dem Weg ins Morgen, oder vielleicht jeden Tag mehr. Seit wir dreissig wurden und nicht mehr älter. Für sie waren wir nie jünger als heute und werden nie jung gewesen sein. Eines Tages werden sie Fotos entdecken und sagen, Mama, du warst ja schön. Und wir, die wir einmal schön waren, werden versuchen so auszusehen, als würde es nicht allzu sehr weh tun.

Manchmal wachen wir auf und haben ein Wehwehchen und können es nicht glauben. Manchmal tanzen wir von der Tram nach Hause, weil die Musik im Ohr so gut und so laut ist, wie sie es auch damals schon war. Und dann stolpern wir, weil uns ein Mensch über dreissig anschaut, als dürften wir nicht.

Manchmal rauchen wir eine Zigarette und trinken ein Glas zu viel und denken, das sei Jungsein. Bis der Kopf am nächsten Tag weher tut, als er es damals tat. Wann immer das war. 

Manchmal sehen wir einen Menschen vor uns gehen, gebeugt und traurig und denken, er ist alt und dann dreht er sich um und seine Augen sagen, auch er sei nie älter als dreissig gewesen. Und unsere Augen sagen, na ja. Und seine Augen sagen selber.

Wir werden immer dreissig sein und nie älter, auch wenn wir uns irgendwann an den Händen halten und uns beim Verwelken zuschauen. Wir werden verdutzt sein, weil wir das Altwerden nicht im Kopf bemerkt haben, nur an den Flecken auf den Händen und den Falten um die Augen. (Die grauen Haare zählen nicht, die sind style).

Wir, die wir nie älter als 30 waren, halten uns an den Händen und wollen zusammen weiter gehen. Bis ein Mensch kommt, der sagt, er braucht uns, der noch nicht da war, als wir dreissig wurden und der noch da sein wird, wenn wir immer noch nicht älter als dreissig sein wollen. Der irgendwann selbst dreissig werden wird wie in einem bösen Spiegelbild des Real Life. Wir gehen also weiter mit dem Menschen, der uns da noch braucht. Bis er uns nicht mehr braucht. Und uns stehen lässt. 

Dann finden wir uns wieder, du und ich, die Ewigdreissigjährigen. Wir wissen heute nicht, wie alt wir sein werden, wenn wir alleine dastehen und wieder dreissig sein könnten. Bleiben wir also, seien wir also, denken wir also weiterhin, immerdar dreissig.

 

10 janvier 2024

2024

Jetzt ist schon wieder ein neues Jahr. Anna hat es kaum gemerkt, so schnell kam das Ende von 2023. Das kein gutes Jahr war. Es gab schlechtere, bestimmt, aber es war kein gutes. In keiner Hinsicht. Nicht in Annas Leben und nicht für die Welt.

Und Anna hat wieder nicht fliegen gelernt.

Anna hört PINK für die Moral, aber das hilft nur tagsüber und im Schnee so richtig. Wenn die Nacht kommt und die kommt selbst hier ein bisschen zu früh, hilft es nicht so gut. Dann braucht es Massen Schokolade und bräuchte es weiche Arme, die alles halten können. Aber auch die weichsten Arme, das hat Anna 2023 auch gelernt, hängen immer an Körpern, die sich selbst erst mal gerade halten müssen und erst im zweiten Schritt zum Auffangen da sind. Jedenfalls in Real Life. Und an den Armen, auch an Annas, hängt so vieles, hängen die Kinder und ihre Zukunft, hängen Entscheidungen, die Annas alleine fällen müssen, hängen Freunde, die Trost brauchen und selber manchmal eben Annas Arme. Jeder Tag ist gerade zu kurz für Annas Lebenswillen, jede Nacht zu anstrengend, jeder Ort, den sie sein möchte, zu weit weg. Jede freie Minute muss vom schalen Geschmack der Einsamkeit befreit werden, bevor sie zu Freiheit werden kann. Und wenn Anna dann endlich mal wieder Arme findet, die sie halten, stehen viele Leute um sie herum und Anna wird rot und traut sich nicht sich einfach fallen zu lassen. Aber um fliegen zu lernen, muss man doch fallen können. Oder?

Dieses neue Jahr, das mit der Vier, bringt Anna Schnee in den ersten Tagen und der frisst den Ton ihrer Schritte und verlangsamt endlich ein bisschen ihre Kadenz. Aber Anna hat es schon gesehen: auch der Schnee ist auf Rückzug und lässt Anna allein. Dreimal schon ist sie nicht auf dem Glatteis, das er liess, gefallen. Sie klammert sich fest und fester und beisst sich noch mal so fest an leisen frohen Tönen, die bessere Tage versprechen. Sie klebt Gedichte unter ihre Sohlen, auf denen sie nicht ausrutschen kann. Und auf kleinen Postkarten rutscht sie wie auf Schlitten die Hügel runter vor ihrem Haus bis in ein kleines Herzpuckern. Sie nennt es Training, denn Anna braucht ein Projekt.

2004 wird kein leichtes Jahr, aber Anna hat beschlossen: es wird das Jahr, in dem sie fliegen lernt. 

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14 décembre 2023

Anna und der Mann mit der Gitarre

Anna geht die Straße entlang und denkt an einen anderen Wintertag. Einen, an dem die Jacke, die sie trägt, noch ganz jung und ein Geschenk eines Zotteltiers war. Sie dachte daran, wie Glück schmeckte, wenn es langsam aufhört Glück zu sein. Und dass man, wenn man manchmal denkt, jetzt ist es perfekt, einfach gehen müsste, für immer. 

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- Und woher wüsstest du dann, dass du es nicht noch mal haben könntest, dieses perfekte Glück?

Die Stimme kam von einem fast schon alten Mann, der mit einer Gitarre in seinem Arm auf einer Parkbank saß. Nicht auf irgendeiner, auf der, von der aus Anna in ihr neues Leben abgesprungen war.

Du kannst hören, was ich denke?, denkt Anna.

- Du hörst doch auch, was ich denke, lächelt der Mann.

Und beide denken gleichzeitig an weisses Papier und die Straßenbahn des Todes. Im Walzertakt. Und Anna schaut auf seine Gitarre und er denktsagt, keine Angst. Und Anna muss lachen, weil sie sich einen Moment lang wirklich um die Gitarre gesorgt hatte.

Anna sagt er, du weisst, was du zu tun hast : Zieh die Jacke aus, trag nur noch grün und blau und mach dein Handy aus. Sei von mir aus den ganzen Tag untröstlich, aber hab Spaß dabei. Etwas anderes kannst du nicht mehr tun, wenn im Himmel gerade kein Platz frei ist. 

Und Anna tut, was der Mann sagte, und geht nach Hause. Zieht sich um. Statt zu weinen, geht sie dorthin, wo man sie zum Lachen zwingt. Sie fotografiert den Himmel und schaut lange auf das Foto.

Das Handy macht sie nicht aus.

 

19 novembre 2023

Anna schreibt keinen Brief

Mein Großer, 

denkt Anna.

Ich weiss nicht einmal genau, wie du jetzt lebst und ob du alleine lebst oder einen Sohn hast? Ich weiss nicht warum, aber irgendwie sehe ich dich nicht mit einer Tochter. Ein Sohn, ja, das ist vorstellbar. Er würde stundenlang alleine an Legorobotern bauen und du säßest daneben und würdest dieses stille Lächeln lächeln, das nur du konntest.

Du hast in ein paar Tagen Geburtstag und natürlich werde ich deinen Geburtstag nicht vergessen und natürlich werde ich nicht wagen, dir zu schreiben. Obwohl ich es jedes Jahr wieder so gerne würde. Aber du hast einmal geschrieben, ich sollte es nicht. Es täte dir zu weh und bringe nichts. Und wie immer hast du recht gehabt. Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich es jedes Jahr schade finde. 

Anna holt tief Luft und sagt, was gesagt werden muss: 

In ein paar Wochen fahre ich in die Stadt zurück, die eine Winterwoche lang unsere war. Unter Schnee und klapperkalt und ich weiss noch, wie wir durch den Park (den einen) stiefelten und darüber sprachen, dass in diesem Jahr ausgerechnet Grass den Nobelpreis bekam... Ich fand das absurd, du hast meinen Ball flach gehalten. Denn genau das hast du immer getan: meine Wut ernst nehmen, ihr aber den Stachel ziehen, der mich bitter gemacht hätte. Meine Leidenschaften fördern, ohne in sie überzulaufen und sie mir steitig zu machen. In ihnen leidenschaftlicher zu werden als ich und besser, denn fähig dazu wärest du gewesen. Und mir einen Arm bieten: zum darinnen ausweinen, zum ins Leben ziehen, zum dran festhalten, wenn ich zu hoch balanciere.

Und schließlich hast Du mir ein Leben gebaut. Eines mit einem grünen Sessel, einem gekierferten Bücherregal ganz allein für mich, ein kleines Leben ohne Zaun und Grenzen, ein Fürimmer, wie du es sahst. Das ich in tausend kleine Stücke zerschlagen hab. Weil ich es musste damals, weil endlich frei sein nur möglich war, wenn ich mich auch befreite von dir. Wäre ich dir nur fünf Jahre später begegnet, du wärest die Liebe meines Lebens geblieben. 

Anna möchte weinen, so sehr trieft der Kitsch aus diesen Zeilen, die sie natürlich nicht schreibt und die er nie lesen wird.  Und doch ist es ihr tröstlich, dass er sie richtig lesen würde, selbst heute noch. Er hat Anna immer richtig gelesen. Sie sieht ihn über einen Campus gehen, ein bisschen voller sicher als damals, ein bisschen gebeugter von einem Leben, das Anna nicht kennt. Vielleicht holt er den Jungen mit den Legorobotern ab oder die Frau, die dafür sorgt, dass er an Anna und ein Fürimmer, das ein Ende fand, nicht mehr denken muss.

Sie muss ein Ende finden für ihren Brief.

Ich wünsche dir Glück, mein Großer. Und eine stille Zuversicht für alles, was kommt. Zum Geburtstag und überhaupt. Und danke, dass ich mich an dich erinnern kann wie siehe oben. Das ist so viel mehr, als man sich denken kann. Und so viel mehr, als ich verdiene.

Anna.

 

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Annas drittes Leben
  • Anna - die von damals, die mit den hohen Rössern und dem Löwen - hat eine Weile woanders, wieanders gelebt. Jetzt ist sie wieder da. Mit einem neuen Blog. Anders, aber irgendwie auch wie immer.
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