Helden, Scheiben und was ginge, wenn es ginge

Anna verbringt gerade viel Zeit mit dem Homme sylvestre. Den kannte sie schon mal besser, aber irgendwie steht er ihr gerade noch näher: sein Janusgesicht und seine stille unheilige Liebe zu Frauen, die ihren Äffchen Namen aus Shakespeare-Stücken geben. Dieses Stiefeln durch Paris, als hätte er seine Pyrenäen nie verlassen. Aber eben immer vorwärts. Ein Mann, der sein Leben verzeichnet, in stillen Bleistiftstrichen, die er nur unterbricht, um zu seinem Kollegen zu sagen, er hätte ihn gern. Auch wenn es dafür keinen Grund gebe. Denn es muss nicht nicht immer einen Grund geben.

Anna weiss das gerade besser als manch anderes: es muss nicht immer einen Grund geben. Für den falschen Ton im falschen Moment, für das falsche Gesicht nachts im Traum beim Kuss, für die falsche Angst um die falsche Zukunft, für das falsche Lied im falschen Moment und für die Kurve, die man nicht gekriegt hat. Und überhaupt! Was ist denn wann falsch und wer entscheidet das ständig an Annas Stelle? Ist es falsch, dass sie sich Kirschen aus Spanien kauft, wenn nur das sie davon abhält, nach links und rechts auszuschlagen aus Wut über das Auto, das ein Kätzchen totfuhr? Wenn die falschen Hände ihre Hüften streicheln, ist dann die Wahrheit falsch oder ist es falsch, wenn man sie nicht sagt? Und ist nicht absolut und lebenswichtig richtig, sein Leben in Scheiben (Scheibe 1: Montag bis Mittwoch, Scheibe 2: Donnerstag bis Samstag, Scheibe 3: Sonntag) zu teilen, wenn es so leichter zu verstehen ist? Und wo ist überhaupt Jenna gerade?

Deshalb jedenfalls kann Anna sich gerade gut an diesem Mann festhalten: weil man sich ja an etwas festhalten muss, wenn man nicht fallen will. Das mag sich jetzt absurd lesen, dieser Mann lebt nur in Büchern und nicht einmal das ist sicher. Aber er gibt Anna den Eindruck, etwas ist sicher in ihrem Leben. Und gleichzeitig lässt er sie auf und ab hüpfen. Ein bisschen ist es, als wäre Anna verliebt. Aber das geht nun wirklich zu weit. Doch in jedem Fall zeigt ihr der Mann: Es ginge auch anders, wenn es anders ginge. So etwa. 

Für alle, die vielleicht verstehen wollen, was Anna da faselt: Fred VARGAS: Sur la dalle (2023) / Fred VARGAS: L'hommes aux cercles bleus (1996)