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Annas drittes Leben
19 novembre 2023

Anna schreibt keinen Brief

Mein Großer, 

denkt Anna.

Ich weiss nicht einmal genau, wie du jetzt lebst und ob du alleine lebst oder einen Sohn hast? Ich weiss nicht warum, aber irgendwie sehe ich dich nicht mit einer Tochter. Ein Sohn, ja, das ist vorstellbar. Er würde stundenlang alleine an Legorobotern bauen und du säßest daneben und würdest dieses stille Lächeln lächeln, das nur du konntest.

Du hast in ein paar Tagen Geburtstag und natürlich werde ich deinen Geburtstag nicht vergessen und natürlich werde ich nicht wagen, dir zu schreiben. Obwohl ich es jedes Jahr wieder so gerne würde. Aber du hast einmal geschrieben, ich sollte es nicht. Es täte dir zu weh und bringe nichts. Und wie immer hast du recht gehabt. Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich es jedes Jahr schade finde. 

Anna holt tief Luft und sagt, was gesagt werden muss: 

In ein paar Wochen fahre ich in die Stadt zurück, die eine Winterwoche lang unsere war. Unter Schnee und klapperkalt und ich weiss noch, wie wir durch den Park (den einen) stiefelten und darüber sprachen, dass in diesem Jahr ausgerechnet Grass den Nobelpreis bekam... Ich fand das absurd, du hast meinen Ball flach gehalten. Denn genau das hast du immer getan: meine Wut ernst nehmen, ihr aber den Stachel ziehen, der mich bitter gemacht hätte. Meine Leidenschaften fördern, ohne in sie überzulaufen und sie mir steitig zu machen. In ihnen leidenschaftlicher zu werden als ich und besser, denn fähig dazu wärest du gewesen. Und mir einen Arm bieten: zum darinnen ausweinen, zum ins Leben ziehen, zum dran festhalten, wenn ich zu hoch balanciere.

Und schließlich hast Du mir ein Leben gebaut. Eines mit einem grünen Sessel, einem gekierferten Bücherregal ganz allein für mich, ein kleines Leben ohne Zaun und Grenzen, ein Fürimmer, wie du es sahst. Das ich in tausend kleine Stücke zerschlagen hab. Weil ich es musste damals, weil endlich frei sein nur möglich war, wenn ich mich auch befreite von dir. Wäre ich dir nur fünf Jahre später begegnet, du wärest die Liebe meines Lebens geblieben. 

Anna möchte weinen, so sehr trieft der Kitsch aus diesen Zeilen, die sie natürlich nicht schreibt und die er nie lesen wird.  Und doch ist es ihr tröstlich, dass er sie richtig lesen würde, selbst heute noch. Er hat Anna immer richtig gelesen. Sie sieht ihn über einen Campus gehen, ein bisschen voller sicher als damals, ein bisschen gebeugter von einem Leben, das Anna nicht kennt. Vielleicht holt er den Jungen mit den Legorobotern ab oder die Frau, die dafür sorgt, dass er an Anna und ein Fürimmer, das ein Ende fand, nicht mehr denken muss.

Sie muss ein Ende finden für ihren Brief.

Ich wünsche dir Glück, mein Großer. Und eine stille Zuversicht für alles, was kommt. Zum Geburtstag und überhaupt. Und danke, dass ich mich an dich erinnern kann wie siehe oben. Das ist so viel mehr, als man sich denken kann. Und so viel mehr, als ich verdiene.

Anna.

 

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Annas drittes Leben
  • Anna - die von damals, die mit den hohen Rössern und dem Löwen - hat eine Weile woanders, wieanders gelebt. Jetzt ist sie wieder da. Mit einem neuen Blog. Anders, aber irgendwie auch wie immer.
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